Offener Brief an den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. Frank-Walter Steinmeier, sowie an den Präsidenten der Republik Polen, Herrn Dr. Andrzej Duda


Prof. dr hab. Robert Traba

Instytut Studiów Politycznych Polskiej Akademii Nauk

ul. Polna 18/20

Pl 00-625 Warszawa

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Michael G. Müller

Institut für wissenschaft Institut für Geschichte der Martin-Luther-der Polnischen Akademie der Universität Halle-Wittenberg-Wissenschaften

Emil-Abderhalden-Straße 26-27

D-06108 Halle (Saale)


Sehr geehrte Herren Präsidenten,

mit großer Zustimmung haben wir Ihre gemeinsame Erklärung vom 12. Dezember 2022 zur Kenntnis genommen. Sie gaben damit ein langerwartetes Zeichen im Blick auf die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen.

Vor 14 Jahren haben Sie, Herr Bundespräsident, als Bundesaußenminister, gemeinsam mit Ihrem damaligen polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski den Impuls zu einem bis heute einmaligen Projekt in den Kultur- und Wissenschaftsbezie­hungen zwischen unseren beiden Ländern gegeben – zu dem Vorhaben, in deutsch-polnischer Kooperation ein gemeinsames, in den Schulen beider Länder einsetzbares Schulbuch zur europäi­schen Geschichte zu erarbeiten: „Europa –unsere Geschichte“.  Die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission erklärte sofort ihre Bereitschaft, dieses Projekt zu realisieren, was von beiden Regierungen positiv aufgenommen wurde.

Gemeinsam haben wir in der Folge ein Unterrichtswerk erarbeitet, das in Fachkreisen weltweit große Anerkennung gefunden hat. Leider aber haben die deutsche und die polnische Regierung diesen Erfolg gemeinsamer Anstrengungen nicht öffentlich gewürdigt, durch eine dem Rang des Unternehmens angemessene Vorstellung des Ergebnisses in den Öffentlichkeiten beider Länder.

Der letzte Band des Schulbuchs, der die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts behandelt, erschien 2020, wurde in Polen jedoch nicht als reguläres Schulbuch zugelassen. Da das Zulassungsverfahren beim polnische Ministerium für Bildung und Wissenschaft ungewöhnlich lange hinzog, das Ministerium zwischenzeitlich auch ein offenbar politisch gewünschtes negatives Gutachten über den Band öffentlich gemacht hatte, sah sich der Verlag WSiP genötigt, den Zulassungsantrag zurückzuziehen.

Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat ferner im Dezember 2021 die für das Projekt verantwortlichen Gremien, nämlich den Expertenrat sowie den Steuerungsrat, denen sowohl politische Akteure als Vertreter der Fachwissenschaft angehörten, einseitig für aufgelöst erklärt.  Dadurch wurde die vereinbarte Zusammenarbeit abgebrochen. Die deutschen Projektbeteiligten sind ihrerseits nicht deswegen initiativ geworden.

Wir möchten uns nicht damit abfinden, dass der Erfolg dieses in mehrfacher Hinsicht einzigartigen Unternehmens auf diese Weise zunichtegemacht wird. Das in vieljähriger professioneller Arbeit und aufgrund von großzügiger öffentlicher Förderung entstandene Schulbuch stellt eine herausragende fachwissenschaftliche und didaktische Leistung dar. U.a. wurde dessen 4. Band in Deutschland als „Schulbuch des Jahres 2021“ in der Kategorie „Gesellschaft“ ausgezeichnet. Auch hat das Schulbuch international große Anerkennung gefunden, in Europa (besonders in Frankreich) wie in Ostasien, wo die Erfahrungen der deutsch-polnischen Schulbucharbeit seit Jahrzehnten als richtungweisend für die Bemühungen um Völkerverständigung gelten.

Das Schulbuchprojekt steht für eine beispielhaft konstruktive deutsch-polnische Zusammenarbeit. Wir gehen davon aus, dass Polen wie Deutschland weiterhin zu dem Grundsatz stehen, dass der schulische Geschichtsunterricht die jungen Generationen vor allem zu selbstbestimmter, kritischer Urteilsbildung über Geschichte befähigen soll.  Eben dieser Grundsatz liegt dem beiderseits ausdrücklich gebilligten Konzept für unser Schulbuch zugrunde. Es ist dem Prinzip historischer Wahrhaftigkeit verpflichtet und trägt der Notwendigkeit Rechnung, der jetzigen und künftigen Generationen von Polen und Deutschen ein Verständnis für die schwierige gemeinsame Geschichte zu vermitteln.

Wir wären Ihnen außerordentlich dankbar, verehrte Herren Präsidenten, wenn Sie den politischen Anstoß dazu geben könnten, dass das Projekt zu einem wirklichen Abschluss gebracht wird, entsprechend den ursprünglichen Vereinbarungen zwischen beiden Regierungen. Wir sind davon überzeugt, dass ein entsprechender öffentlicher Akt wesentlich dazu beitragen würde, den einst so fruchtbaren deutsch-polnischen Dialog über Geschichte erneut anzuregen.

Mit besten Empfehlungen

Prof. Dr. Robert Traba, Institut für Politikwissenschaft der Polnischen Akademie der Wissenschaften)

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Michael G. Müller, Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg

(Ehemalige Ko-Vorsitzenden der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der Historiker und Geographen, Ko-Vorsitzende des Deutsch-Polnischen Expertenrats sowie Mitglieder des Steuerungsrats für das „Schulbuch Geschichte. Ein deutsch-polnisches Projekt“)

Warschau-Halle, den 19. Dezember 2022

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